Alles wird ganz schlimm - WEEKLY PLANET #120
Intro
Ich habe irgendwann mal die Vorstellung gehabt, dass ich diesen Newsletter besser vorbereite, wenn ich zwei Wochen Zeit habe. In dieser Woche könnte ich das auf eine Algebra Klausur schieben, aber die Wahrheit ist, dass das nicht funktioniert. Aber hier ist eine weitere Ausgabe vom WEEKLY PLANET! Eine Buchbesprechung die viel früher erscheint, als es üblich ist. Normalerweise ist für sowas die Woche des Erscheinens vorgesehen. Aber hey, das ist exklusiv und toll! Yeah. Puh ich bin fertig.
Das hier ist der WEEKLY PLANET. Der Newsletter erscheint alle zwei Wochen und wird von mir, Lele Lucas, geschrieben. Ich verkaufe Comics oder studiere. Der WP ist eine DRAGONS EAT EVERYTHING Produktion. DEE ist ein Netzwerk für Popkultur und Feminismus. Wir machen coole Sachen. Du bekommst diesen Newsletter, weil du ihn irgendwann mal bestellt hast. Das ist nett von dir!
Los geht’s!
DRAGONS EAT EVERYTHING UPDATE
- Ein NINJA PIRATE BROADCAST über Dystopien
- Ein NERD FEUILLETON über Raft, Ranma, The God Game und mehr
- Die Playlist für die 175. ALL YOU CAN EAT Sendung, ausgesucht von Dino Paris
- Das Interview mit Dino Paris!
Notes from an Apocalypse von Mark O’Connell
An der Bornholmer Brücke blühen die Kirschbäume. Es ist Sturm angesagt, Fußballspiele wurden abgesagt und ich frage mich ob die neue Flagge vom Nachbarn die Nacht überleben wird. Beim letzten Essen bei meinen Eltern haben wir überlegt, wie wir im Falle einer Apokalypse vorgehen würden. Ist es besser als aller erstes im Unverpackt Laden zu sein und alles mitzunehmen? Oder sollten wir erst zum Aussteiger rennen und uns mit besserer Ausrüstung eindecken? Wäre es nicht schlauer erst einmal die Wohnung auf keinen Fall zu verlassen? Wohin überhaupt mit dem Essen aus dem besagten Laden? Und was ist mit den anderen Menschen im Haus? Werden die zu Bösewichten oder könnte hier plötzlich eine angenehme und fürsorgliche Gesellschaft entstehen, die den Unverpackt Laden solidarisch aufteilt und dafür sorgt, dass erst einmal niemand Hunger leiden muss?
Am Tisch sind wir nicht auf diese kommunale Variante gekommen. Aber sie wäre allen anderen vorzuziehen. In Gesprächen mit diversen Menschen, die vom kommenden Untergang profitieren findet Mark O’Connell in seinem neuen Buch Notes from an Apocalypse nur wenig solidarisches Gedankengut. Stattdessen soll es zum Mars gehen oder in einen Bunker irgendwo im Nirgendwo. Beides ultra teuer, aber wofür bezahlt man denn keine Steuern, um nicht auf den Mars (Elon Musk) oder an einen großen See in Neu Seeland (Peter Thiel) fliehen zu können? Notes from an Apokalypse ist ebenso wie der Vorgänge How to be a Machine ein sehr persönliches Buch. O’Connell gibt genauso viel Einblick in seine eigene Persönlichkeit, wie in die von den Menschen die er besucht oder interviewt. Tatsächlich ist dieses neue Buch noch mehr von ihm selbst geprägt als das letzte und vielleicht verliert er sich darin manchmal ein wenig.
Seine Besuche in zukünftigen Fluchtbunkern oder auf Websiten, die getrocknetes Essen für die Apokalypse verkaufen sind eingerahmt von eigenen Überlegungen über die Unausweichlichkeit des Untergangs, die Last dieser Gedanken auf der Psyche und der Frage von der Zukunft seines Sohnes. Er weiß es geschickt die Positionen der verschiedenen Akteure in der Suche nach Profit im Untergang zu beschreiben und zu kommentieren. O’Connell befasst sich eingehend mit Elon Musk, Peter Thiel und anderen gut betuchten Männern, die die Erde bereits abgeschrieben haben oder Demokratie nicht mit Freiheit verbinden können. Dafür besucht er die Ländereien, die Thiel in Neu Seeland gekauft hat, um dorthin zu flüchten. Er nimmt an einer Konferenz über die kommende Kolonialisierung des Mars teil und wandert durch Chernobyl.
Dabei stellen sich eine Reihe faszinierender Fragen, die tief in die Akteure blicken lassen. Ist “colonize” wirklich ein Wort, dass für die Besiedlung eines neuen Planeten genutzt werden sollte? Was ist eigentlich mit Kindern auf diesem neuen Planeten ohne Atmosphäre und mit geringerer Gravitation? “The Expanse” hat das Problem gelöst, aber dafür ein paar Jahre übersprungen und den Science Fiction Bonus, den haben wir nicht. Ich habe mich während des Buches und in Gesprächen über das Thema danach viel aufgeregt. Und dennoch, auf die solidarische Lösung bin ich nicht gekommen. Und hier ist auch der Punkt, der mir an dem Buch fehlt.
Mark O’Connell findet zwar für sich eine Art Frieden mit der Sache, schaut mir aber zu wenig auf Alternativen. Ich hätte gerne mehr über die Gemeinschaften im Angesicht von Katastrophen gelesen, die er als Alternative vorschlägt. Ja, diese Bücher gibt es schon, aber ich glaube mehr davon wäre nicht verkehrt. Ich hätte das ohne große Verluste gegen einen der Abschnitte über die persönliche Existenzangst des Autors eingetauscht. Er nennt sein Buch selbst “literary non-fiction” und das zeigt sich vielleicht in seiner wundervollen Sprache oder an den mangelnden Quellen. Vielleicht aber auch in der Auswahl der Themen, die mir im Nachhinein eher zu kurz gekommen sind.
Somit liefert Mark O’Connell ein weiteres anregendes und schönes Buch ab, dass leider etwas kurzweilig erscheint. Aber vielleicht ist das auch der wahre Wert des Buches. Es ist nicht zu schwer und serviert auf leicht verdauliche Art einen Blick in die Zukunft, der anregt, sich Gedanken zu machen. Und das tue ich. Und ich empfehle es weiter.
Ich habe ein Leseexemplar gelesen. Das Buch erscheint im April 2020 bei Granta. Den Vorgänger “How to be a Machine” möchte ich hiermit auch empfehlen. Den gibt es in guten Buchläden mindestens zu bestellen.
Linksalat
- Whiteny Phillips mit einer neuen Kolumne für wired: “The Internet Is a Toxic Hellscape—but We Can Fix It”
- Hopepunk wird uns nicht retten
- Können “Smart Cities” auch Städte sein, die ihre Bewohner*innen nicht überwachen? Es wäre wünschenswert, meint Cory Doctorow
- “Macht Spotify Podcasting kaputt?”, fragt Matt Stoller - sehr zu recht
- xenogothic mit einem Essay über Helikopter, eine gewisse Kurzgeschichte und Kunst, die bewegt und auch verletzt
- Für 30 Jahre hat ein Koch aus Tokyo jede seiner Mahlzeiten illustriert
- The Booksellers - Ein Film über Buchhändler*innen in New York.
Outro
Da hinten auf dem Sessel läuft eine Abenteurerin durch Skyrim, einfach nur von hier nach da. Da gehe ich jetzt hin. Lasst es euch gut gehen. Und hey! Ihr da! Wo ist Sex Education Staffel Drei, ich verlange danach, morgen!
Bis bald!
Lele